(393) Und täglich grüsst das Murmeltier
Auf Anraten des letzten Tankwarts nehmen wir den längeren Heimweg über die Sandpisten (siehe letzten Beitrag). Ich mache mich über die fehlenden Verkehrsschilder lustig und postwendend folgt die Strafe. Ein Schild kündigt eine starke Kurve an und noch während ich einen blöden Kommentar darüber mache, landen wir beinahe im Strassengraben. Es gab sie doch, diese enge Kurve!
Auf der Suche nach…?
Dann wundern wir uns über ein kleines Häuschen am Strassenrand und zwei Polizisten, die mitten auf der Strasse warten. Die haben unsere Staubfahne wohl schon seit langem beobachtet und freuen sich sicherlich über die willkommene Abwechslung. Es folgt das Übliche: woher, wohin, warum und wieso wir hier unterwegs sind, Autopapiere, Personalausweise, letzter und auch noch vorletzter Autosteuernachweis, Versicherungsnachweis und Patente-Nachweis (Autonummernschild). Auf Front- und Rückscheibe sowie auf den übrigen Fenstern ist die Fahrgestellnummer eingeritzt, was alles minuziös kontrolliert wird. Währenddessen nimmt die Polizistin die Rücksitze in Augenschein. Ob sie mal im Kofferraum nachschauen dürfte.
Auf der Suche nach einem Kupplungspedal
Nach der Kontrolle wird das Auto begutachtet. Aufmerksame Frage: wieso auf der Heckklappe «Automatico» stehe. Ich erkläre wieder einmal, dass die Gangschaltung automatisch ist. Allgemeines Staunen, dass das Kupplungspedal fehlt - das muss doch irgendwo sein?! Wieso nur ein grosses Pedal usw. usw. Gott sei Dank will er nicht noch eine Probefahrt machen (siehe frühere Episode)
Höchst verdächtig: Munggi mit Schleife (Bild: Ueli Bugmann)
Die hinter der Windschutzscheibe sitzenden zwei kleinen Murmeltiere aus Stoff, die uns unsere Kinder in der Schweiz geschenkt haben, begleiten uns als Glücksbringer immer auf unseren Reisen. Jetzt werden sie von der Polizistin ausgiebig begutachtet. Was das für komische Tiere seien: «Die sind doch nicht aus dieser Gegend, oder gibt es die in Misiones?» Wieder haben die rote Erde und der Matsch am Auto unsere Herkunft verraten. Oder ob die Murmeli gar aus Patagonien seien, eventuell aus Bariloche? Misiones kennt die Polizistin vom Hören-Sagen, aber unter Bariloche kann sie sich gar nichts vorstellen… Wir erklären, dass es dort Schnee gibt. Wie der den aussehe, wie er sich anfühle und ob es sehr kalt sei, möchte sie wissen. Auch wie hoch die Berge seien usw. usw. usw. Geduldig geben wir Auskunft. Inzwischen macht Miriam Mate.
Auf der Suche nach Babyentführern
Die beiden Polizisten trinken eifrig mit, nicht ohne die gute und schmackhafte Yerba zu loben. Oh weh und weiter geht es, wieso so ein Stofftierchen eine Feder am Halsband habe, und dieses Halsband sei doch die Argentinische Fahne, wieso das andere eine «Escarapella» auf der Brust trage (ein 1.-August-Abzeichen) und was das für eine Feder sei - die kenne sie doch. Aha, von einem Tero (siehe auch früheren Beitrag).
Schliesslich lassen sie uns weiterziehen, nicht ohne sich für die Kofferraumkontrolle zu entschuldigen. In Misiones und im Norden würden viele Babys entführt oder von den Eltern verkauft. Sie suchten einen Anhaltspunkt, Babyflaschen, Babykleider oder etwas anderes, denn was macht so ein junges Paar (danke für die Blumen!) in einer so gottverlassenen Gegend und erst noch mit so einem neuen und schönen Auto?!
Beruhigt fahren wir weiter und nach einem Kilometer erreichen wir den ersehnten Asphalt und die leserlichen Schilder wieder.
Auf der Suche nach Schlaf
Am späten Nachmittag erreichen wir unsere Tagesetappe, Laguna de Mar Chiquita, im Norden der Provinz Cordoba. Dieser See, oder eben dieses Meer, 1850 Quadratkilometer gross, ist ein Salzsee, der in einer natürlichen Senke liegt und von den Flüssen Rio Dulce, Rio Segundo und Rio Primero gespiesen wird. An den Ufern bilden sich viele Sumpfgebiete, welche eine wunderbare Vogelwelt beherbergen. Mar Chiquita ist ein Badeort und dem Wasser werden heilende Kräfte zugeschrieben. Zurzeit - es ist bei uns gerade Herbst, als wir hier sind - ist es menschenleer. Nur ein paar ältere Jahrgänge benützen das heilende Wasser und die hohen Temperaturen zum Entspannen. Im Sommer herrscht hier aber ein riesiger Rummel. Wir finden eine offene Pension und freuen uns auf die Dusche und die Klimaanlage im Zimmer. So um 22 Uhr machen wir uns bei immer noch über 33 Grad auf den Weg in ein Restaurant, das uns die Hotelchefin empfohlen hat. Es ist wirklich das einzige offene Restaurant. Miriam isst einen Pejerrey (ein Fisch aus dem See) während ich dem Fleisch treu bleibe. Den Abend krönen wir mit einem wohlverdienten Wein. Zurück im Hotel brauchen wir lange zum Einschlafen, denn drinnen hat sich das Zimmer bestens aufgeheizt - sobald man das Zimmer verlässt, schaltet automatisch die Klimaanlage ab - und der Lärm der jetzt auf Hochtouren laufenden Klimaanlage ist unerträglich. Ich probiere es draussen neben dem Swimmingpool auf einer Liege aus. Die Mosquitos sind wohl der Meinung, so süsses (Diabetiker-)Blut hätten sie schon seit langem nicht mehr bekommen - also auch nichts mit Schlafen…
Gefunden: die Vergangenheit
Gegen fünf Uhr in der Früh halten wir es nicht mehr aus. Wir fahren noch im Morgengrauen zum See hinunter - stark verschmutzter Sand, viel Abfall, Ölflecken auf dem Wasser, nicht sehr «amächelig».
Im Morgengrauen: Laguna de Mar Chiquita (Bild: Ueli Bugmann)
Am Ufer entdecke ich einen riesigen Gebäudekomplex mit Wachturm. Wir fahren näher heran und entziffern ein Schild mit der Aufschrift «Hotel Viena». Alles ist mit Stacheldraht eingezäunt und wirkt sehr heruntergekommen. Weit und breit keine Menschenseele zum Nachfragen - wer läuft schon freiwillig morgens um diese Zeit durch die Gegend. Mich erinnert es an eine Reportage, die ich früher einmal in Riga, Lettland und Littauen machte. Es ging damals um einen Hotelkomplex, der zur Erholung von SS-Leuten gebaut worden war. Der Zufall will es, dass ich wenige Wochen später im Argentinischen Fernsehen eine Reportage über das vor uns stehende Hotel sehe. Der Sender durfte als erster dort filmen und aus den widersprüchlichen Kommentaren hörte ich heraus, was ich bereits vor Ort schon vermutet hatte: Niemand weiss etwas, niemand möchte Auskunft geben über die Gebäude, alles bleibt ein grosses Geheimnis. Es hätten sich schon viele Sender wie BBC, ARD und ORF angemeldet, aber die Dreharbeiten hätten bisher nicht aufgenommen werden können.
Im Hintergrund das hinter Stacheldraht verborgene und
geheimnisumwitterte Hotel Viena samt Wachturm (Bild: Ueli Bugmann)
Würde mich nicht wundern, wenn wieder ein düsteres Kapitel der SS aufgeklärt würde. In Paraguay lebten und leben noch etliche Flüchtlinge, die vom damaligen Präsident Strössner in Schutz genommen wurden und denen Asyl gewährt wurde.
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Weiterführende Links
(392) Vitamin B füllt den TankÂ
(263) Das Ticken der Latino-Uhren Â
(268) Angekommen