(368) Warum auswandern? Wieso Apulien?
Ja, warum? Was war “es” denn, das mich damals im Jahr 2001, ein Jahr vor meiner Pensionierung, umgetrieben, mich veranlasst hat, mir ernsthafte Gedanken, dann erste Schritte Richtung Emigration zu machen? Ich weiss es nicht.
Ein alter Traum drängt sich vor
Weder jetzt, in der Gegenwart, noch in der Vergangenheit weiss, oder wusste ich “es” zu benennen, geschweige zu erklären. War “es” ein nie gekanntes, nur erträumtes Freiheitsgefühl oder doch eher meine “grauenhaft unberechenbare Spontaneität”, wie meine in England lebende(!) Tochter “es” damals noch betitelte?
So ganz neu waren die Auswanderungsfantasien allerdings nicht. Schon als Kind stand für mich fest, dass ich, sobald erwachsen, zu den Indianern, oder vielleicht doch besser zu den Eskimos ziehen würde, um mein Leben mit ihnen zu teilen.
Erstens kommt es anders…
Und erstens kommt es anders und zweitens als man meint (W. Busch). So ganz anders aber doch nicht.
Die Ferien des Sommers 2001 verbringe ich im mir noch unbekannten Salento. Genauer: in Tricase Porto, wo eine Freundin seit zwei Jahren eine Pensione betreibt. Das magisches Wort “Salento”: eine urtümliche, herb-liebliche Landschaft. Trotzig bizarre Felsenküste und ab und an, wie zufällig hingelegt, lauschige Sandbänklein. Und das unendlich weite Meer! Glasklar, dunkelblau und smaragdgrünliche Schäumchen-Wellen direkt aus der Konditorei. Da kann man schon mal ins Träumen kommen…
Da kam sie über mich, diese grauenhaft unberechenbare Spontaneität. Mit meiner Freundin kam ich überein, dass sie Ausschau halten soll nach einem Haus mit folgenden Eigenschaften:
- Ruhig gelegen
- Umschwung
- Höchstens 15 Gehminuten zum Meer
- Platz für mindestens 6 Gäste
Ab jetzt gilts ernst mit dem Hauskauf in Italien
Zurück in der Schweiz widmete ich mich wieder Konkreterem. Mein letztes Arbeitsjahr hatte begonnen. Die Übergabe der Bereichsleitung, die ich in einer Institution für Erwachsene Betreute innehatte, verlangte eine minutiöse Vorbereitung und Organisation. Unter Miteinbezug des Gesamtleitungsteams, der direkten MitarbeiterInnen und so weit als möglich auch der betreuten Klienten galt es, eine geeignete Person als Nachfolge zu suchen und einzuarbeiten. Ganz schön spannend, ganz schön aufwändig.
Und mitten in dieses turbulente, bewegte Vollprogramm hinein kam - von mir schon fast vergessen - der Anruf aus Italien: “Haus in Sicht!” Oh du lieber Schreck!
Mit einem Freund fahre ich Hals über Kopf 1400 km und wieder zurück für eine Hausbesichtigung! Das Haus ist klein, hat wenig Ausblick. Nein, das ist es nicht, was ich mir vorgestellt habe.
Da wir nun schon mal hier sind, streifen wir durch die Gegend und stossen auf ein architektonisch utopisches, verlassen wirkendes Zweifamilienhaus. Da vendere, steht auf einer kleinen Tafel am roten Gartentor.
Keine Liebe auf den ersten Blick
“NEIN!” bricht es aus mir heraus, “ein sooo hässliches Haus würde ich nieeemals kaufen!” Trotzdem klettern wir über den Zaun, schleichen zwei lange Treppen hinauf und stehen auf dem Flachdach. Es verschlägt uns buchstäblich die Sprache: 360 Grad Rundsicht! Da liegt es wieder vor uns, dieses unendliche, tiefblaue Meer, die stoische Landschaft und am Horizont, eng zusammengedrängt wie Schafe, die weissen kubischen Häuser des Städtchens Tricase. Nichts bewegt sich. Kein Geräusch ist zu hören.
Dort, auf dem Dach, fälle ich die Entscheidung, die mein Leben grundlegend verändern wird.
Handänderung in der Telefonkabine
Nach etlichen Telefonaten mit dem im Tessin lebenden Hausbesitzer werden wir handelseinig. Ich reise mit rasendem Herzklopfen meinem zukünftigen Haus entgegen. Der Termin und die obligaten Zeugen für die notarielle Übergabe sind festgelegt. Im engen, verrauchten Büro verschlägt es mir wohl auch vor Aufregung den Atem. Gespannt warten wir auf den Hauseigentümer. Wir warten lange und irgendwann ist es klar: Er wird nicht kommen. Alles geplatzt. Der ganze Aufwand umsonst. Er kommt nicht.
Ich reise zurück. Von der CH aus schicke ich der Freundin mit der Pensione eine notariell beglaubigte Kauf-Vollmacht.
Wieder Telefonate.
Wieder ein Termin im Notariat.
Diesmal sind alle dort ausser mir.
Ich sitze bewegungslos in meinem kleinen Bauernhaus.
Dann das Telefon: „Wir sind so weit, wir werden jetzt soeben den Vertrag unterzeichnen!”
Mir war, als ob um mein zukünftiges Leben gepokert würde.
Dann Lärm im Telefonhörer. Aufregung. “Er” unterschreibt nicht!
Wie soll “Er” wissen, ob ich das Geld innerhalb der festgelegten Frist an seine Bank überweisen werde?
Ja, wie soll er??
Ratlosigkeit.
Ich mache einen Vorschlag.
Stunden Pause, dann wieder Telefonkontakt aufnehmen.
Ich mobilisiere meinen süditalienischen Rechtsanwalt, der mich bei der Aufstellung des Vertrages beraten hat, hat.
Wir treffen uns in einer Telefonkabine im Zentrum von Zürich. Ich mit 190′000 Franken in meiner Handtasche. Der Advokat mit seiner Zulassungsbeglaubigung. Dann wird die Verhandlung in Tricase wieder aufgenommen. Bei laufender Telefonverbindung zähle ich laut die bar mitgebrachte Kaufsumme in die Hand unseres Vertrauensmannes!
Auf der Gegenseite, 1400 km entfernt ertönt Jubel und Gläserklirren. “Er” hat unterschrieben!
Mir schwindelt in der engen Kabine. Ich zittere.
Im Hinteren Sternen trinken wir einen Grappa.
Jetzt habe ich ein eigenes Haus.
Es ist kurz vor Mitternacht.
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20.05.2009 11:00
Liebe Frau Hilfiker
Das war wirklich eine spannende Geschichte, wie Sie zu Ihrem Haus gekommen sind. Ich freue mich schon auf die nächsten Beiträge.
Freundliche Grüsse aus der Bresse in Burgund
Ingrid Stocker
22.05.2009 10:16
Liebe Mutter,
dass ich Dein Abenteuer als “grauenhaft unberechenbare Spontaneität” bezeichnet habe stimmt. Heute kann ich nur sagen, dass Du unheimlichen Mut hattest und dass Du jetzt täglich mit der Herausforderung Apulien konfrontiert wirst. Mit viel Stärke, Kraft und Humor geniesst Du die wilde Schönheit. Zum Glück darf ich Dich oft dort besuchen und einwenig an der Schönheit deiner neuen Heimat teilnehmen.
Big hug from cold England,
Regula
04.02.2011 3:08
Hallo Frau Hilfiker
Auch ich fand Ihren Beitrag spannend und informativ.
Mein Mann und ich fahren am19.02.2011 bis 27.02.2011 nach
San Pietro Apulien.
Ferner ist unser Labrador Barnie mit an Bord und ich hoffe
er wird die Fahrt gut überstehen.
Wir übernachten in Bologna,.es war nicht so einfach ein Hotel zu finden welches so große Hunde aufnimmt.
Wir wollen uns in Apulien Häuser anschauen und vieleicht
eins kaufen.
Wir tragen uns auch mit den Gedanken auszuwandern.
Ich freue mich sehr auf die Reise und auf alles Neue.
Das Wetter ist auf jeden Fall besser als bei uns.
Mal schauen wie alles weitergeht !Melde mich wieder
22.02.2011 23:56
Hach, ein Traum! Mein Mann kommt aus Apulien und ich habe mich seit meinem ersten Urlaub dort in das Land verliebt :-)))
Es zieht mich an wie ein Magnet und wenn ich es endlich geschafft habe mich und meine Familie dorthin zu bringen, meld ich mich wieder bei Ihnen!
LG aus dem tristen und depressiv machenden Deutschland