(302) VIP-Transporte im Zeitenwandel
(In dieser Stafette wirft der nach British Columbia (CAN) ausgewanderte Heinz Tock einen Blick zurück. Die Beiträge “Per Taxi auf Zeitreise durch die Autostadt Biel” hat Heinz Tock als junger Student und Taxifahrer aufgezeichnet).
Konjunktur
Ende der 50-er Jahre: Langsam erholt sich der Arbeiter und der kleine Angestellte finanziell. Der Krieg, während welchem die Männer hunderte von Tagen im aktiven Dienst standen und nur eine minimale Erwerbsausfallentschädigung erthielten, ist Geschichte.
In den Wohnungen tauchen Teppiche, Kühlschränke, Telefone auf.
Ãœberall in Biel und Umgebung werden Genossenschaftswohnungen gebaut. Da hat es eine Badewanne und eine einfache “Zentralheizung”: Koks-Ofen in der Küche und in jedem Zimmer hinter der Türe einen Radiator.
Man muss nicht mehr im Herbst die Felläden aushängen und die Vorfenster montieren.
Zeichen der Armut verschwinden
Das “Armenviertel” der Cité Marie verschwindet, auch die Bewohner der “Baracken” im Möösli sind nicht mehr verpönt.
Seit zehn Jahren gibt es die AHV. Die entsetzliche Armut alleinstehender alter Menschen ist gebrochen. Bis heute verfolgen mich die Bilder dieser Menschen in ihren kalten, klammen Altstadtwohnungen.
Von 1947-1951 half ich als Pfadfinder jeweils bei Weihnachtsbescherung für alleinstehende Alte.
Die Metzger lieferten Fleisch, die Bäcker Brot und die Gemüsehändler Gemüse.
In Militärcaissons wurde eine kräftige Suppe gekocht.
Mit einer Kerze und einer kleinen, handbetrieben “Psalmenpumpe” gingen wir von Tür zu Tür und brachten etwas Licht in die dunklen Wohnungen.
Man kann sich nun schon etwas Ferien leisten. In der Schweiz, im benachbarten Ausland oder sogar auf Mallorca.
Schützenfest sorgt für Umsatz
Das Eidgenössische Schützenfest in Biel hat grossen Zulauf. Noch sind Privatautos unter “gewöhnlichen” Leuten selten. Die meisten Schützen reisen per Bahn an.
Wir Täxeler haben eine Bonanza. Die Strecke Bahnhof-Bözingenfeld können wir schon fast mit geschlossenen Augen fahren.
Noch immer gibt es in Biel keine generelle Geschwindigkeitsbeschränkung, man fährt gemäss den gegebenen Strassen-, Sicht- und Verkehrsverhältnissen. Sicherheitsgurten sind so gut wie unbekannt - und schon gar nicht tragepflichtig.
Vorher: Bundesrat will mit dem Taxi fahren
Ich stehe beim Schiessplatz und warte auf “Kunden”. Da kommen ein paar “Offizielle”, darunter der Polizeidirektor König, mit einem Ehrengast zum Taxistand. Ich erkenne den Bundesrat Paul Chaudet.
Ich solle den Magistraten so rasch als möglich zum Bahnhof fahren, damit er den Zug nach Bern noch erwische.
Ich tue mein Möglichstes, aber der Verkehr ist nun zu dicht für schnelles Fahren.
Herr Chaudet erkennt, dass er den Zug nicht erreichen kann und bittet mich, ihn zum Hotel Elite zu fahren. Dort steigt er aus, bezahlt das Taxi und wünscht “bonne soirée”. Ich bin erstaunt, dass man dem Megistraten nicht einmal einen Begleiter mitgegeben hatte.
Nachher: Bundesrat fliegt viel lieber mit dem Hubschrauber
Ein paar Jahre später findet in Magglingen ein Grossanlass statt.
Der eingeladene Bundesrat schwebt ein per Helikopter. Nach dem Besuch der Hallen steigt er in ein Auto ein, um hinunter ins Hotel Bellevue zum Bankett zu fahren.
Das Auto ist seine Dienstlimousine, welche der Chauffeur von Bern überführt hatte.
Der wartet dann, bis sein Chef gespiesen hat; dann fährt er ihn wieder hinauf zu den Hallen, wo dieser den Heli besteigt, um nach Bern zu fliegen. Dorthin wo auch der Chauffeur den leeren Wagen fährt.
Geburtsort: Sehr ungünstig
Zurück zum Schützenfest. Dieser Tag hat für mich noch eine Überraschung parat.
Ich nehme am Bahnhof das Telefon ab und eine aufgeregte Frauenstimme bittet mich, so rasch als möglich zu ihrem Haus beim Kreuzplatz zu kommen. Sie erwarte das zweite Kind und die Wehen hätten eingesetzt..
Die Frau steht mit einer Wolldecke schon vor dem Haus, drückt mir zwei Fünfliber in die Hand und bettet sich auf dem Hintersitz.
Ich fahre, etwas schneller als vorher mit Herrn Chaudet, hinauf ins Beaumont.
Die Wehen komen nun alle paar Minuten. Ich laufe Gefahr, noch unterwegs “Götti” zu werden.
Schneller als die Ambulanz erlaubt
Ein paar hundert Meter vor dem Spital kommt von hinten eine Ambulanz. Cis-Gis:
“Dih-Düh-Dih-Düh”.
Ich gebe Vollgas, aber das Auto klebt mir am Heck. Beim Spitaleingang halte ich an und schon steht der Fahrer der Ambulanz bei mir, das waren damals Stadtpolizisten, und herrscht mich an: “Sit der toub oder nume blöd?”
Ich gebe keine Antwort, steige aus und öffne die hintere Autotüre. Das Wasser ist gebrochen und der Polizist begreift rasch. Im Eilschritt holt er eine Bahre und die Frau wird ins Spital gerollt.
Ich muss etwas putzen, aber dank der Wolldecke ist es nicht zu schlimm. Ein Trinkeld habe ich ja erhalten.
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