Reinhard H. Ringger
  Seit 1986 mit Ehefrau Santa in Apulien (ITA)

(186) Was passiert, wenn mir etwas passiert?

Ein Thema, das einen - je älter man wird - mehr oder weniger beschäftigt: Was passiert, wenn mir etwas passiert? Was in der Schweiz ein durchorganisierter Akt ist, wird da in Süditalien zu einem Geduldspiel. Einen Hausarzt gibt es in der Regel nicht. Jedem Bürger wird ein Arzt zugeteilt, der nur ins Haus kommt, wenn es dringend nötig ist.

Vertreter und Patienten geben sich die Klinke in die Hand

Grundsätzlich aber muss man an genau bestimmten Tagen in seine Praxis gehen oder gebracht werden. Das Wartezimmer ist meist schon voll wartender Patienten. Die Praxis ist nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Vertreter der Pharmafabriken geöffnet. Für diese gilt die Regel: Nach zwei Patienten kommt ein Vertreter an die Reihe. Wenn man schon Nummer zwölf ist und dann noch ein oder zwei Vertreter hinzukommen, erschöpft sich fast die Geduld. Der Arzt behandelt nicht, sondern stellt nur die Diagnose. Darauf schreibt er das Rezept für die Apotheke oder den Antrag zum Besuch des Spezialisten im Spital.

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie besser nicht Ihren Arzt

Im letzten Jahr hatte ich zwei Mal einen anaphylaktischen Schock (extreme allergische Reaktion), weil der Arzt mir ein Schmerzmittel verschrieben hatte, auf das ich allergisch war. Nur dank rechtzeitigem Eintreffen der Ambulanz, die mich sofort mit Cortison und Adrenalin behandelte, bin ich heute noch am Leben. Eine Patientenkartei führt der Arzt nicht. Für den Besuch des Spitalarztes muss man in ein Büro ins Nachbardorf. Auch da volle Wartezimmer. Endlich kommt man an den Schalter und die Angestellte sucht einen Termin. Normalerweise gibt es den kaum vor zwei bis fünf Monaten.

Wenns pressiert

Bei schweren Erkrankungen stellt der Arzt die Aufnahme in das Spital aus oder er verweist einen als Notfall in die Notfallstation. Ich hatte vor drei Jahren eine schwere Brustoperation (drei Rippen wurden teilweise entfernt und durch Plastik ersetzt). Nach der Biopsie am 12. Dezember lag ich am 18. schon im OP. Der Arzt erklärte mir Schritt für Schritt die achtstündige Operation. In den sechs Tagen im Spital hatte ich dank der medizinischen Versorgung nicht einen Moment lang Schmerzen. Fehlendes Instrumentarium wird durch fachliches Können ersetzt. Auch die Pfleger und Pflegerinnen waren vorbildlich. Für schlecht Verdienende, Erwerbslose und Pensionierte ist der grösste Teil des Gesundheitswesens gratis, wird über die Steuern bezahlt. Spezialärzte und Spezialmedikamente müssen bezahlt werden.

Zu Hause Sterben ist die Regel

Sterben tut man zu Hause. Der Sterbende wird vom Spital nach Hause gebracht, wo er dann im Kreise seiner Familie einschlafen kann. Dann wird er eingesargt und Verwandte und Freunde verabschieden sich von ihm. Erst am nächsten Tag wird er - gefolgt vom halben Dorf - erst in die Kirche und anschliessend auf den Friedhof gebracht und dort in die Gräberwand geschoben. Die nächsten männlichen Angehörigen nehmen in Reih’ und Glied stehend die Beileidsbekundungen der Bevölkerung entgegen, was über Stunden dauern kann. Aufgrund meiner Erfahrungen sehe ich der Zukunft gelassen entgegen. Auch hier in Süditalien werden Menschen über 100 Jahre alt.

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Kommentare

  1. Catherine Beuret

    06.07.2008 7:40

    Lieber Herr Ringger, in wird Frankreich wird der Arzt auch zum Vermittler. Der Arzt kann selbst gewählt werden, sollte aber nachher nichtmehr ausgewechselt werden. Für die Blutentnahme schickt der Arzt den Patienten zur Gemeindeschwester. Die nimmt Blut, gibt es der Apotheke und die verschickt das Blut an das Labor. Ich kann dann wählen, ob ich das resultat mit der Rechnung nach hause will oder bei der Apotheke abhole und bezahle. Die Apotheke befindet sich ca. 5 Kilometer entfernt. Bei einer Unregelmässigkeit werde ich zum Nierenspezialisten nach Mâcon (50 Kilometer) geschickt oder zum Herzspezialisten nach Paray le Monial (40 Kilometer). Die Medikamente werden für drei Monate verschrieben, müssen jedoch in Monatsportionen bezogen werden. Sprechstunden können gebucht werden. Da achte ich darauf, dass ich als Erste eingeschrieben werde, das erspart Wartezeit. Der Arzt hat keine Sprechstundenhilfe und nimmt das Telefon selbst ab. Der Besuch kostet 22 Euro, da liegen keine teuren Praxisausstattungen (Röntgen, Ultraschall usw.) drin. der Arzt kommt aber im Notfall vorbei . Es gibt auch einen Pflegedienst mit Hausbesuchen. Die hiesigen Krankenkassen übernehmen die Transportkosten in das Spital. Für die Transporte sind private Taxi- und Transportunternehmen zuständig. Genug vom Vergleichen! Ich möchte mich bei Ihnen für die anregenden und auch berührenden Berichte bedanken. Bleiben Sie gesund und weiterhin so aufgestellt. Freundliche Grüsse Catherine Beuret

  2. J, Hasler

    07.07.2008 12:09

    Lieber Herr Ringger und Frau Beuret, wenn ich ihre Berichte zur ärztlichen Versorgung lese, können wir uns auf Phuket/ Thailand fast wie im Paradies fühlen- allerdings auch hier gegen kleine bis moderate Bezahlung. Besuch bei Aerzten und öffentlichen Spitälern mit Wartezeit von 30 Min. bis 3 Std. Medikamente werden direkt vom Arzt abgegeben. Notfalls Einweisung ins Spital. Ich habe Behandlungen und Operationen in zwei Privatspitälern hinter mir. Vorsorgeuntersuchungen sofort. Aktuelle Untersuchungen inkl. Bluttest mit kleiner Wartezeit. Operationstermin ganz nach meinen Wünschen, Morgen, Uebermorgen oder wenn es mir passt. Für erste Operation Tests um 17 Uhr abgeschlossen. Arztbesuch in meinem Krankenzimmer 18 Uhr. Er schlägt Operation (kein Notfall) um 19 Uhr vor. Ich frage ob er nicht Feierabend habe. Antwort : kein Problem, wir sind für sie da. Krankenwagen mit Sanitätern Tarif etwa wie Taxi.
    Medizinische Versorgung war für mich wichtiges Kriterium bei Evaluation Auswanderungsort.
    Freundliche Grüsse
    Jürg Hasler